Er ist der Mann hinter dem stärksten Buchstaben der Welt: Franciscus „Frank“ van Meel. Unter seiner Leitung hat die BMW M GmbH vor wenigen Jahren den sportlichen Allradantrieb M xDrive zur Serienreife gebracht. Jetzt steht dem gebürtigen Niederländer die Transformation in das Elektrozeitalter bevor. Und auch die wird den sechsfachen Vater nicht aus der Ruhe bringen. Lesen Sie hier exklusiv das Interview aus dem Buch „BMW M Love“, das zum 50-jährigen Jubiläum von BMW M erscheint.
Christina Rahmes: Sie sind der alte und neue Geschäftsführer der BMW M GmbH. Dazwischen haben Sie die Gesamtfahrzeugentwicklung der BMW Group geleitet, waren für die Luxusklasse bei BMW und für Rolls-Royce verantwortlich. Was war Ihre größte Herausforderung in den vergangenen fünf Jahren?
Frank van Meel: Ich habe 2015 bei der BMW M GmbH begonnen. Nach knapp vier Jahren hat mich dann die BMW Group zu sich geholt. Passend zur Unternehmenspolitik ist es wichtig, nicht zu lange auf einer Position zu sitzen, sondern sich stets zu bewegen. Das wird im Konzern gefördert und gefordert. Meine neuen Aufgaben dort waren herausfordernd. Im Bereich der Gesamtfahrzeugentwicklung geht es um künftige Fahrzeugarchitekturen, um Themen wie Homologation und Zulassung, aber auch um Crash-Dauerläufe und die strategische Steuerung des E-Ressorts, das die Transformation zur E-Mobilität vorantreibt. In dieser Zeit habe ich viel gelernt.

Wofür stehen Sie in der BMW M GmbH?
Emotionalität ist meine Handschrift.
Was weckt Emotionen in der M Community?
Ich erinnere mich gern zurück an meine erste Station bei der M GmbH. Unter meiner damaligen Leitung hat das Unternehmen den sportlichen Allradantrieb M xDrive zur Serienreife gebracht. Er arbeitet hecklastig mit einer perfekten Kraftverteilung, die es zulässt, aus einer Kurve so herauszubeschleunigen, dass man leicht driften kann. Genau so, wie man es von einem echten M Fahrzeug erwartet: mit einem authentischen M Gefühl, das Emotionen weckt.
Wie sehr haben Sie damals für diesen sportlichen Allradantrieb kämpfen müssen?
Ich musste auf jeden Fall einige Widerstände überwinden. Der Allradantrieb mit mehr Traktion debütierte im M5, der wiederum für viele Fans eine Art Heiliger Gral war, den man besser nicht anfassen sollte. Mir war es jedoch wichtig, auch bei Nieselregen, auf Laub oder Schnee die Attribute Dynamik, Agilität und Präzision zu spüren. Genau das, wofür uns die Community schätzt – mit viel Traktion, ohne Fahrspaß einzubüßen. Um auf allen Untergründen kraftvoll aus den Kurven fahren zu können, muss ein Auto überlegen sein. Wenn ich dann als Fahrer auch noch selbst schalten kann, dann werden alle möglichen Emotionen geweckt.
Weckt ein Schaltgetriebe mehr Emotionen als das Automatik-Pendant?
Unseren Kunden gefallen die Wahlmöglichkeiten zwischen Heck- und Allradantrieb, Schalt- oder Automatikgetriebe. In den USA beispielsweise fahren aktuell knapp 55 Prozent aller BMW M2 als Handschalter auf den Straßen. Die Kunden genießen es, in einer Fahrmaschine zu sitzen, mit der sie arbeiten können. Die Handschaltung versuchen wir als Option auch in der Zukunft beizubehalten. Unsere Community mag sie, um eins mit der Maschine zu sein. Selbst zu schalten, weckt Emotionen und verschafft vielen Fans ein authentisches M Gefühl, das sie an die Wurzeln der Marke erinnert: den Motorsport.
Wenn ich nur in einem Gang fahre, dann fehlt mir eine gewisse akustische Rückmeldung... Wir müssen also auch die Frage beantworten: Wie ist der M Sound der Zukunft?

Wie wichtig ist der Motorsport für BMW?
Im Motorsport geht es darum, Grenzen auszuloten, auch in technischer Hinsicht, eine Vorreiterrolle zu erlangen, weit zu kommen. Natürlich geht es auch darum, sich mit den Wettbewerbern zu messen und zu erkennen, was die Konkurrenten testen. Wer „Freude am Fahren“ als Slogan hat, für den wird das Thema Motorsport immer sehr wichtig sein.
Was wünschen Sie der M GmbH zum 50. Geburtstag?
Ein spannendes Jahr 2022, viele unvergessliche Feiern mit der gesamten Community. Obwohl der 24. Mai als Gründungstag der tatsächliche Geburtstag ist, werden wir ihn 365 Tage lang mit unseren Fans zelebrieren. M ist nur dank dieser außergewöhnlichen Community so groß geworden. Und die wiederum ist aus der Leidenschaft für Motorsport entstanden. Wir waren immer nah an unseren Fans dran – und genau das ist es auch, was sie an der Marke lieben.
Wofür wird BMW M in zehn Jahren stehen? Was ist die künftige Ausrichtung der Marke?
Der Charakter wird bleiben, wie er heute ist. Technisch gesehen wird sich viel ändern, allein durch die Transformation in das Elektrozeitalter. Wir gehen diesen Weg mutig und selbstbewusst, weil wir wissen, dass unsere Werte dieselben bleiben werden. Dafür blicke ich gern auf die Evolution des M3 zurück, der in den 1980er-Jahren mit vier Zylindern auf den Markt kam. Später war er mit einem Sechszylinder-Saugmotor erhältlich, dann als Achtzylinder-Hochdrehzahlmotor und letztlich mit Sechszylinder-Turbomotor. Nach jeder Entwicklungsstufe haben viele Kritiker gesagt, dass sich der M3 nicht mehr verkaufen wird. Und jedes Mal hatten sie Unrecht, denn der Charakter des Fahrzeugs ist auch mit den neuen Motorkonzepten stets geblieben. In den kommenden zehn Jahren werden sicherlich alle M Fahrzeuge elektrifiziert sein, aber nicht ausschließlich. Die Elektrifizierung kommt in unterschiedlichen Geschwindigkeiten. Im Jubiläumsjahr beispielsweise bringen wir unser erstes Performance-Plug-in-Hybrid-Fahrzeug auf den Markt. Auch mit diesem Launch richten wir uns nach den Fans und Kunden und der marktspezifischen Nachfrage.
Wie genau schaffen Sie die Transformation in ein neues Mobilitätszeitalter?
Die Zukunft wird elektrisch, das ist klar – und dieser Aufgabe stellen wir uns. Wichtig ist uns die Frage: Wenn ein M immer wie ein M fährt, wie bekomme ich das M Gefühl eines klassischen Fahrzeugs in ein Elektrofahrzeug? Genau das wollen wir erreichen. Es geht dabei viel um die Themen Gefühl, Fahreigenschaften und Sound. Wenn ich nur in einem Gang fahre, dann fehlt mir eine gewisse akustische Rückmeldung, ebenso fehlt mir das Gefühl für den aktuellen Fahrdynamikzustand. Wir müssen also auch die Frage beantworten: Wie ist der M Sound der Zukunft? Da wir aus dem Motorsport kommen, sollte unsere Antwort auf die Frage der Community sofort einleuchten. Wir müssen es schaffen, dem Fahrer das richtige Feedback zu vermitteln – und mit diesem das M Gefühl.
Mir ist es wichtig, dass jeder zu seiner Meinung steht.
Was macht BMW M besser als die Konkurrenz?
Meine Bewunderung gilt vielen Marken, denn jede hat ihren eigenen Charakter. Wir sind aus dem Motorsport entstanden mit dem Gedanken, dass man Widersprüche auflösen kann. Als Eberhard von Kuenheim in den 1970er-Jahren Vorstandsvorsitzender war, wurde er in einem BMW 7er gefahren. Seine Sicherheitsleute hatten im BMW 5er manchmal Probleme, ihm zu folgen. So entstand der erste High-Performance BMW 5er, den die Abteilung Motorsport tunte. Daraus entstand die Diskussion: Muss ich mich eigentlich zwangsläufig zwischen Sportwagen und Limousine entscheiden? Nein, denn wir können beides. Das war und ist eines unserer Erfolgsrezepte. M ist mit der engen Verbindung zwischen Motorsport und Serie groß geworden. Und hat bis heute den Charakter beibehalten.

Was bedeutet Ihnen Luxus?
Luxus ist schwer beschreibbar, weil es ein emotionaler Begriff ist, den es mit Inhalten zu füllen gilt. Wenn ich mir etwas leiste, das eine Geschichte hat, dann könnte das schon Luxus sein. Auf uns übertragen könnte das die Heritage einer Marke sein, auf der jedes Auto, das kommt, immer wieder aufbaut. Oder es sind überraschende Gadgets und Materialien im Fahrzeug, die ich nicht erwartet hätte. Ein Beispiel für besonders expressiven Luxus ist der Materialmix Carbon mit eingewebten Bronzefäden. Denn das hat wirklich nicht jeder.
Wer oder was inspiriert Sie?
Mich inspirieren Menschen, die vorausdenken, die das große Ganze sehen und viel mehr als das Offensichtliche angehen. Visionäre, die auch Macher sind.
Wie sind Sie als Chef?
Ich bin ein großer Fan von „direction first, then speed“. Dazu stecken wir als Team gemeinsam zuerst unsere langfristigen strategischen Ziele ab. Zur Erreichung dieser darf jeder seinen eigenen Beitrag leisten und maximale Kreativität einbringen. Ich vertraue und lasse meinen Mitarbeitern viele Freiheiten.
Welche Werte sind Ihnen wichtig, beruflich und privat?
Offenheit und Ehrlichkeit. Ich schätze allerdings auch Dissens und fordere diesen auch ein. Mir ist es wichtig, dass jeder zu seiner Meinung steht.
Wie sieht ein Wochenende nach Ihrem Geschmack aus?
Zum Abschalten wäre das ein Wochenende mit meiner Familie an der Rennstrecke. Ich habe sechs rennverrückte Kinder. Mein Jüngster ist sechs Jahre alt und war bereits als Dreijähriger bei der DTM dabei. Dort hat er dann begeistert die Carbontüren der Rennfahrzeuge auf- und zugemacht und den Motorensound genossen. Ein Rennwochenende ist ein besonderes Erlebnis mit viel Teamspirit und Emotionen.